Ganz kleines Kino

Vom Löwen zur Kobra
Das hätte ich nicht gedacht, dass sich die „Höhle der Löwen“ mal zu einer derart emotionalen Show mausern würde. Gestern war das Staffelfinale der 10. Staffel, die 100. Sendung. Und ich war dabei! Vor meinem TV-Bildschirm natürlich. Wirklich berührt haben mich die beiden Gründerinnen der „Talking Hands“, und das nicht nur wegen des Inklusionsgedankens, der ihrem Projekt zugrunde liegt. Geflasht hat mich, dass ihre Geschäftsidee auf Daumenkinos basiert. Sie beweisen mit ihren Flipbooks für Kitakinder, dass dieses Medium für diesen Zweck, nämlich den Kindern die wichtigsten Ausdrücke in Gebärdensprache beizubringen, perfekt eingesetzt wird. Allen Apps zum Trotz (sie haben sogar selbst eine programmiert), denn die brauchen immer ein elektronisches Gerät als Plattform und sind damit zu kompliziert für die kleinen Racker.
Ich liebe Daumenkinos! Und das schon fast mein ganzes Leben lang. Dank des Internets konnte ich sogar herausfinden, seit welchem Zeitpunkt genau. Nach der Eingabe einiger rudimentärer Keywords spuckte Google mir aus, dass meine Begegnung mit diesem knuffeligen Medium im Februar 1975 stattfand. Das neue Comicmagazin „Kobra“ startete in Deutschland. Ich hatte gerade Lesen gelernt und meine Mutter dachte sich „Action! Horror! Abenteuer!“ (so der Störer auf der Titelseite), das ist genau das Richtige für meinen Erstklässler. Recht hatte sie, dieser Mix war genau das, was mein kleines, sich gerade entwickelndes Gehirn brauchte. Ich profitiere noch heute davon. (Hier sogar mit Abbildungen von genau dem Bastelbogen aus der „Kobra“.)
Ist Zeit Geld?
Die Dauer eines Daumenkino-Films liegt zwischen einer und zwei Sekunden. Das ist kurz. Wenn man sich allerdings überlegt, dass ein TikTok-Video auch nur maximal 15 Sekunden lang ist, dann scheint heutzutage die Würze umso mehr in der Kürze zu liegen. Der Sound beim Daumenkino im Unterschied zu TikTok ist allerdings immer derselbe („frrrrrr”).
Ich war vor Jahren mit einem Filmteam in Marokko, um dort einige TV-Spots zu drehen (übrigens auch 15-Sekünder). Jemand aus dem Team erzählte von seinem Steckenpferd als Teilhaber des Berliner Startups „Speedminton“. Das kannte damals noch kein Mensch, und als ich mich später mit meiner Agentur selbstständig machte, wollte ich gerne die Werbemittel für das Produkt entwerfen. Um die drei Gründer für mich zu gewinnen, entwarf und präsentierte ich ihnen ein Daumenkino. Weil das USP des Produkts der spezielle Ball war, der die Ballwechsel im Vergleich zum klassischen Badminton enorm beschleunigte, wollte ich genau das dramatisieren. Ich zeigte in der kurzen Zeit, die man fürs Flippen – oder „Schnurren“ wie es die Kobra nannte – des Büchleins brauchte, einen kompletten Ballwechsel. Das Daumenkino kam gut an, aber Daumenkinos zu produzieren war teuer, und Geld hatten die Berliner Entrepreneurs keines. Das war extrem schade, gab mir aber die Möglichkeit, eine Konkurrenzfirma zu akquirieren: Tamburello. Speedminton und ein paar Nachahmerprodukte haben dennoch mittlerweile unsere Parks erobert, wo man jeden Sommer dabei zuschauen kann, wie die Spieler häufiger den Ball einsammeln als ihn hin- und herzuspielen (das Spiel ist wirklich sehr schnell). Ich stellte fest, dass der Ballwechsel in meinem Daumenkino geradezu eine Langfassung der Realität war, sozusagen der Director’s Cut.
Für die legendäre erste Deutschlandstudie des Berlin-Instituts „Die demografische Zukunft der Nation“ hatte Reiner Klingholz die Idee, eine Animation einer Bevölkerungspyramide auf den rechten Seiten am unteren Rand abzubilden. So sieht man staunend beim „Durchschnurren“ der 100 Seiten, wie sich die Anteile der jeweiligen Altersgruppen im Laufe der Jahre teilweise dramatisch verändern.