Ich kann mich nicht erinnern, mich als Kind jemals als „Indianer“ verkleidet zu haben. Ich habe „Cowboy“ bevorzugt, denn als solcher hatte man den Vorteil, Schusswaffen benutzen und herumknallen zu dürfen. Indianer hatten Pfeil und Bogen, Cowboys ihre Knarren. Wir haben schon früh gelernt, Cowboys sind ein bisschen prollig und machomäßig, mit ihren Hüten und Cowboystiefeln. Indianer hatten lange Haare, kannten sich gut mit der Natur aus, die sie verehrten und schützten, und waren nie um einen weisen Spruch verlegen. Als Kind fühlte man sich den Indianern im Prinzip mehr verbunden als den Cowboys, weil man sich als Kind auch mehr mit der Natur verbunden fühlt. Jedenfalls war das Verhältnis zu dem, was wir Indianer nannten, ein respektvolles. Außerdem fand ich Indianerinnen, die es in unserem Dorf, vor allem auf meiner Grundschule, zu Karneval relativ häufig gab, darf man sagen: sexy? Ich war doch noch Grundschüler … Aber so war es. Vielleicht fand ich sie einfach nur schön, mit ihren langen schwarzen Haaren und der leicht dunkel abgetönten Haut. Das war halt ein ganz anderer Look, als die Mädchen, die im restlichen Jahr bei uns herumliefen und Gummitwist oder Seilspringen machten. Es gab noch wenige Migranten und so hatte das natürlich etwas Besonderes. Ich glaube, auf diese Weise haben wir uns daran gewöhnt, dass es Menschen gibt, die anders aussehen als wir blassen und blonden Exemplare.

Was das Verkleiden zu Karneval vor allem ist: das Schlüpfen in eine andere Haut. Wie fühlt es sich als Mann an, Brüste zu haben? Es ist ein erstaunliches Phänomen, das ich am eigenen Leib erfahren durfte und das mir an dieser Weiberfastnacht ein Freund bestätigte, der mit üppigen weiblichen Körpermerkmalen unterwegs war: viele Frauen sind total fasziniert von männlichen (künstlichen) Brüsten und oft fassen sie diese sogar ungefragt an. Auf diese Weise macht man als Mann eine Erfahrung von sexueller Belästigung und kann sich fortan viel besser in Menschen einfühlen, die diese Erfahrung im wirklichen Leben machen. Das Gleiche gilt, wenn man sich andere Haare, einen anderen Beruf oder sogar eine andere Hautfarbe verpasst (zum Beispiel grün). Man stellt fest, dass man sich selbst im Prinzip so fühlt wie immer, dass aber die Menschen, denen man begegnet, anders auf einen reagieren. 

Im alltäglichen Leben spielt Hautfarbe für mich in etwa die gleiche Rolle wie Haarfarbe. Es sind einfach unterschiedliche Tupfen in der Farbpalette der Natur. Ich bin daher auch dafür, dass sich jeder Mensch genau so schminken darf, wie er es sich wünscht, auch in allen erdenklichen Rosa-, Rot-, Gelb- oder Brauntönen. Normalerweise schminkt man sich, um sich danach schöner zu fühlen. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der sich selbst dunkel schminkt, um damit die Menschen zu verletzen, die das ganze Jahr über eine dunkle Haut haben. Im Sommer am Strand ja genau so, nur dann dank Sonneneinwirkung. Der Aufruf zum Verzicht auf die Verwendung dunkel getönter Schminke überbetont die Bedeutung der Hautfarbe meiner Meinung nach. Es würde sich doch nicht ernsthaft jemand als das verkleiden, was er im Grunde hasst. Keine Maus würde sich als Katze verkleiden, behaupte ich einfach mal, und kein Wurm als Vogel. Die Verkleidung als Geisha, Wahrsager, Pirat, Hula-Tänzerin, Panzerknacker oder Polizeihauptkommissar drückt für mich Offenheit und Vielfalt aus und das sind für mich zwei unverzichtbare Werte. 

„Ich ben Buur, Schreiner, Fescher, Bettler un Edelmann,
Sänger un Gaukler, su fing alles aan.
Ich ben Grieche, Türke, Jude, Moslem un Buddhist,
mir all, mir sin nur Minsche, vür‘m Herjott simmer glich.“

So singen das nämlich die Bläck Fööss in dem Lied „Unser Stammbaum“ aus dem Jahr 2000. Da war Köln schon 1.950 Jahre alt. Offenheit liegt nicht nur in der DNA der Kölner – schließlich wurde die Stadt von Römern und Ubierinnen(!) begründet –, sondern ist dem Karneval immanent. Und das sollte auch so bleiben. Ich bin mir sicher: Yakari würde mir zustimmen.